Nur „Flagge zeigen“ reicht nicht!
Prof. Dr. Daniela Aidley lehrt Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Westküste in Heide und konzentriert sich in ihrer Arbeit unter anderem auf das Thema Diversity Management. Im Interview mit uns spricht sie über das Phänomen „Pinkwashing“, das falsche Verständnis von Diversität und darüber, warum es manchen Unternehmen leichter fällt als anderen, sich für das Thema zu öffnen.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen, mit uns über das wichtige Thema Diversität in Unternehmen zu sprechen. Prof. Dr. Aidley, wie erleben Sie das allgemeine Interesse am Thema in der breiten Gesellschaft?
Meinem Empfinden nach wird das Thema Diversität bzw. Aspekte davon deutlich sichtbarer in der Gesellschaft und den Medien diskutiert. Ich sehe das vor allem bei einer zunehmenden Sensibilisierung in der Sprache, also zum Beispiel in der Verwendung von Gendersternchen/-doppelpunkten usw. aber auch der Nennung mehrerer Formen wie Sprecher und Sprecherinnen. In den letzten Jahren hat die Repräsentation von Menschen mit Behinderungen, LGTBQI-Individuen oder Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien zugenommen; das Thema Gehalt ist durch den jährlichen Equal Pay Day prominenter denn je platziert, und auch die Vorteile von divers besetzten Teams sind Organisationen jetzt deutlich bewusster. Gleichzeitig sehe ich, vor allem im Englischsprachigen Raum, eine gewisse Polarisierung zwischen denen, die eine diverse Gesellschaft als Bereicherung ansehen, und denen, die der damit einhergehenden Komplexität abweisend gegenüberstehen. Gerade bei den jüngeren Generationen bin ich aber sehr optimistisch – Diversität als Thema ist hier viel grundsätzlicher und konsequenter verankert.
Sie erwähnten gerade, dass Diversität auch in den Medien und in der Populärkultur zunehmend aufgegriffen wird. Dabei werden vor allem gerne Regenbogenflaggen kommuniziert, die als Symbol für Diversität verstanden werden. Ist das zu einseitig oder zu marketingorientiert gedacht?
Natürlich nutzen einige Unternehmen die Regenbogenflagge als reines Marketinginstrument. Wenn über das reine „Flagge zeigen“ hinaus kein Handeln folgt, das Unternehmen also LGBTQI-Mitarbeiter*innen nicht unterstützt, sich nicht aktiv um die Rekrutierung diverser Mitarbeiter*innen kümmert und nicht aktiv gegen Stereotypen, Vorurteile und Diskriminierung vorgeht, spricht man auch vom Pinkwashing, und das betreiben sicher einige Unternehmen. Allerdings ist es meines Erachtens ein Indikator dafür, wie wichtig Diversität und Unterstützung der LGBTQI-Community mittlerweile in der Gesellschaft sind: Genau wie Greenwashing betreiben Unternehmen Pinkwashing, weil sie den Wertewandel in der Gesellschaft wahrnehmen und sich zumindest progressiv darstellen wollen. Und Konsumenten sind da deutlich aufmerksamer geworden: Liegen Außendarstellung und tatsächliches Handeln zu weit auseinander, wird das auf den sozialen Netzwerken durchaus kritisch dokumentiert und kommentiert.
Als Nachhaltigkeitsberatung sind wir immer am positiven Wandel und an aktuellen Erkenntnissen interessiert – für uns selbst, aber auch für unseren Beratungsalltag. Für einige Unternehmen scheint die Entwicklung in Richtung Diversität allerdings schwieriger als für andere. Woran kann das liegen?
Da gibt es einige … wieviel Zeit habe ich für die Antwort? 😉
Zum Teil liegt das immer noch an einem falschen Verständnis von Diversität und den Instrumenten, die wir zur Förderung von Diversität verwenden. So wird zum Beispiel die Frauenquote häufig noch verstanden als ein Instrument, in denen weniger qualifizierte Frauen höher-qualifizierten Männern vorgezogen werden. Das ist natürlich nicht der Fall – die in Deutschland angewandte Frauenquote greift explizit „bei gleicher Qualifikation“.
Gleichzeitig herrscht in vielen Organisationen eine sogenannte „fixed-pie“-Mentalität, die man am besten als „begrenzter Kuchen“, also als limitierte, endliche Ressource übersetzt. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass eine Förderung von Mitarbeiter*innen einer Gruppe jeweils auch bedeutet, dass Mitarbeiter*innen einer anderen Gruppe etwas weggenommen wird. Bei konsequenter Ausrichtung einer Organisation auf Diversität profitieren aber alle.
Viele sind sich ihrer Vorurteile gar nicht bewusst. Das ist insbesondere beim Rassismus sehr gut dokumentiert. Auch und gerade bei Menschen, die sich selbst nicht für rassistisch halten, kann es durchaus zu diskriminierendem Verhalten kommen. Wir möchten alle gerne von uns selbst denken, dass wir gute, ehrliche Menschen sind, einfühlsam und tolerant, die Informationen objektiv wahrnehmen und rational handeln. Aus der Psychologie wissen wir aber, dass wir in einer Vielzahl von Situationen Informationen verzerrt wahrnehmen und verarbeiten und dann vorurteilsbehaftete Entscheidungen treffen. Diesen Wiederspruch zu erkennen und auszuhalten, kann sehr schwerfallen.
Ein letztes Beispiel noch: Viele Unternehmen und viele Personalentscheider sind davon überzeugt, Entscheidungen rein nach objektiv festgestellter Eignung zu fällen – sie nehmen an, „Meritokratie“, also Erfolg nach Leistung, zu betreiben. Für eine echte Meritokratie müssen aber alle die gleichen Chancen haben, diese Leistungen auch zu erbringen! Wenn Mädchen in der Schule von einem Mathestudium abgeraten wird; wenn Menschen mit Behinderung als weniger leistungsfähig angesehen und daher deutlich seltener eingestellt werden; wenn Bewerber*innen mit türkischen Nachnamen sich – bei gleicher Qualifikation – mehr als doppelt so häufig bewerben müssen, um die gleiche Anzahl an Einladungen zu erhalten; und wenn Frauen bei gleicher Leistung schlechter beurteilt werden, dann sind die grundlegenden Bedingungen für eine echte Meritokratie nicht gegeben.
In Ihrem Berufsalltag arbeiten Sie mit Studierenden, welche die Wirtschaftswelt perspektivisch diverser gestalten möchten. Wie können es die von Ihnen ausgebildeten Expert*innen schaffen, in ihrem zukünftigen Berufsalltag in einer bereits gefestigten Firmenkultur dem Thema Diversität einen höheren Stellenwert zu verleihen?
Einzelne Mitarbeitende können zum einen Inklusion (vor-)leben, zum anderen aktive Alliierte für Menschen aus marginalisierten Gruppen sein. Fangen wir mit der gelebten Inklusion an: Geschlechtervielfalt kann man zum Beispiel dadurch unterstützen, dass man die Abfrage und Nennung von Pronomen normalisiert – auf Namensschildern, in E-Mail-Signaturen, Briefköpfen, usw. Dazu gehört auch die sensible Nutzung von Sprache bei Veranstaltungen, in Werbe- und Trainingsmaterial, also sowohl in der Außen- als auch Innendarstellung. Als Führungskraft sollten Teamevents barrierearm gestaltet werden, so dass auch Mitarbeitende mit Mobilitätseinschränkungen daran teilnehmen können, und Catering sollte sowohl gesundheitliche Einschränkungen (Allergien, etc.) als auch mögliche religiöse Einschränkungen (z.B. Fleisch, Alkohol, etc.) berücksichtigt werden.
Ganz wichtig ist es aber, als Alliierter auch den eigenen Status zu nutzen, um auf Missstände hinzuweisen, und Vorurteilen und Diskriminierung aktiv zu begegnen, damit die Arbeit gegen solche Missstände nicht nur bei den Betroffenen liegt. Das fängt dabei an, bei rassistischen/sexistischen Witzen nicht nur missbilligend zu schauen, sondern explizit zu sagen „das war nicht in Ordnung / das war sexistisch / bitte drücke Dich nicht so aus“. Gesellschaftlicher Wandel findet auch im Kleinen statt: Schweigen wird oft als Zustimmung interpretiert, deshalb ist es wichtig, hier klar zu zeigen, dass diesen Äußerungen eben nicht zugestimmt wird.
Anders ist es bei Start-ups, die oftmals schon von Beginn an das Thema Diversität zu einem festen Bestandteil ihres Leitbildes, ihrer Unternehmenskultur und ihrer Kommunikation machen. Kann man heute eigentlich noch erfolgreich Gründen und dabei Diversität übergehen?
Klar kann man das, die Frage ist nur, ob man damit langfristig erfolgreich ist. Und das würde ich aus zwei Gründen bezweifeln: Zum einen merken wir, gerade in der jüngeren Generation, ein echtes Interesse und Bedarf an Unternehmen, die Diversität ernst nehmen. Zum anderen werden auch Start-ups nicht vom Fachkräftemangel verschont. Wer also wirklich daran interessiert ist, die besten Mitarbeitenden zu rekrutieren, kommt um das Thema Diversität nicht herum.
Was würden Sie Geschäftsleitungen raten, wenn diese noch Berührungsängste mit dem Thema Diversität haben?
Letztendlich braucht es ein diverses Unternehmen, um in einer diversen Gesellschaft erfolgreich zu sein. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Beispiele gesehen, wo Unternehmen Produkte auf den Markt gebracht haben, die vermuten ließen, dass im ganzen Prozess zwischen Konzeption, Design, Marketing und Vertrieb kein einziges wirklich diverses Team drauf schauen konnte. Man denke da z. B. an Bics pinken Kugelschreiber „For Her“, mit dem sich das Unternehmen fast ausnahmslos Hohn und Spott eingeholt hat. Diverse Teams ermöglichen es Unternehmen, sensibel und bedacht Produkte für eine ebenso diverse Kundschaft zu entwickeln. Unterstützt durch gute Führungskräfte, können diverse Teams dabei produktiver, innovativer und erfolgreicher sein als weniger diverse Teams.
Ich persönlich finde das letzte Argument allerdings immer etwas zweischneidig. Die Entscheidung ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das wirklich vorurteils- und diskriminierungsfrei ist, und alle Bewerber*innen, Kund*innen und Mitarbeiter*innen als fähige Individuen behandelt, sollte nicht davon abhängig sein, ob sich ein solches Vorgehen auch finanziell auszahlt – eine solche Entscheidung sollte fallen, weil es die moralisch richtige Entscheidung ist.
Aber wer noch ein handfestes Argument benötigt: Wer wirklich am Erfolg einer Organisation interessiert ist, wird auch wollen, dass die fähigsten Bewerber*innen rekrutiert, und die fähigsten Mitarbeiter*innen gefördert werden. Dazu müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen wir solche Bewerber*innen und Mitarbeiter*innen identifizieren können und die es ihnen erlauben, ihr Potenzial auszuschöpfen. Und das schaffen wir nur in einer Organisation, die sich Diversität authentisch und konsequent auf die Fahne geschrieben hat.
Vielen Dank für dieses wertvolle Gespräch, Prof. Dr. Aidley!